Orthorexie ist eine Essstörung, bei der die Qualität der Nahrung im Vordergrund steht. Die Betroffenen entwickeln eine zwanghafte Fixierung auf „gesunde“ Lebensmittel und vermeiden alles, was als ungesund gilt. Diese Besessenheit geht weit über ein normales Interesse an guter Ernährung hinaus. Betroffene verbringen oft viel Zeit damit, Nährwertangaben zu studieren, Vitamingehalte zu überprüfen und nach „besseren“ Lebensmitteln zu suchen, was manchmal auch den Kauf von Produkten aus weit entfernten Regionen einschliesst.
Die Motivation, sich gesünder zu ernähren, wird immer mehr zu einer Obsession, die dazu führt, dass immer mehr Lebensmittel als ungeeignet eingestuft werden. Im Extremfall ernähren sich die Betroffenen nur noch von Obst und Gemüse, das oft aus Bioläden oder spezialisierten Online-Shops stammt.
Orthorexie äussert sich in einem extrem strengen und zwanghaften Essverhalten. Menschen mit Orthorexie entwickeln persönliche Ernährungsregeln, an die sie sich strikt halten. Schon kleine Abweichungen, wie der Verzehr eines als „ungesund“ eingestuften Nahrungsmittels, können zu starken Schuld- und Versagensgefühlen führen. Mit der Zeit werden diese Regeln immer restriktiver, sodass immer weniger Lebensmittel als „akzeptabel“ gelten. Manche Betroffene verzichten nicht nur auf Zucker, sondern streichen ganze Lebensmittelgruppen wie Kohlenhydrate oder ernähren sich ausschliesslich von Rohkost.
Typisch ist auch die intensive Beschäftigung mit der Qualität der Lebensmittel. Viele Menschen beschäftigen sich stundenlang mit der Analyse von Nährwerten, Vitamingehalten und der Auswahl „gesunder“ Nahrungsmittel. Lebensmittel werden streng kategorisiert und oft auch nach subjektiven Kriterien eingeteilt. Auch die Art der Zubereitung und bestimmte Essgewohnheiten, wie z.B. das Vermeiden von Mahlzeiten nach 18 Uhr, gehören häufig zum Verhalten.
Orthorektiker halten ihre Ernährungsweise oft für die einzig richtige und versuchen, andere davon zu überzeugen. Der Genuss des Essens tritt immer mehr in den Hintergrund, während die Kontrolle über die Ernährung immer wichtiger wird. Darunter können soziale Kontakte leiden, da Einladungen zum Essen abgelehnt werden, aus Sorge, dass das angebotene Essen nicht den eigenen strengen Massstäben entspricht.
Menschen, die an Orthorexie leiden, fixieren sich zwanghaft auf eine extrem „gesunde“ Ernährung und schränken ihre Lebensmittelauswahl stark ein. Diese starke Einschränkung der Lebensmittelauswahl kann zu einer erheblichen Mangelernährung führen, da essentielle Nährstoffe wie Eiweiss, Kalzium, Eisen, Vitamin B12 sowie die Vitamine A, D, E und K fehlen. Neben den körperlichen Folgen zeigen viele Menschen auch Anzeichen psychischer Belastungen wie Angststörungen, emotionale Instabilität und Erschöpfung.
Das Essverhalten verliert zunehmend den Charakter des Geniessens und wird zur Pflicht. Mahlzeiten müssen genau geplant und vorbereitet werden, die Liste der verbotenen Nahrungsmittel wird immer länger. Der Zwang zur Kontrolle führt zu ritualisierten Essgewohnheiten, die keinen Genuss mehr bereiten. Stattdessen wird das Essen zur Quelle von Schuld- und Versagensgefühlen, insbesondere wenn „ungesunde“ Nahrungsmittel konsumiert werden. In manchen Fällen kann Orthorexie auch als eine Art Bewältigungsstrategie zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls dienen, indem sich die Betroffenen als „besser“ als andere empfinden.
Ein starkes Streben nach Perfektion und eine zwanghafte Einstellung zur Ernährung kennzeichnen die Betroffenen. Sie haben oft Schwierigkeiten, eigene Schwächen oder Müdigkeit zu erkennen und ignorieren körperliche Warnsignale. Diese Verleugnungstendenzen und die ständige Kontrolle über das Essen können zu sozialer Isolation führen, da viele Betroffene Mahlzeiten ausser Haus meiden und sich zunehmend von sozialen Aktivitäten zurückziehen.
In besonders extremen Fällen kann Orthorexie zu Mangelernährung führen, die das Immunsystem schwächt und das Infektionsrisiko erhöht. Bei stark eingeschränkter Nahrungsauswahl kann es sogar zu dramatischen Gewichtsverlusten kommen. Wenn die Betroffenen in ihrer Fixierung verharren, besteht auch die Gefahr, dass sich aus der Orthorexie eine noch schwerwiegendere Essstörung wie die Magersucht entwickelt, bei der immer häufiger auf Fasten zurückgegriffen wird oder das Vertrauen in das eigene Essverhalten ganz verloren geht.
Orthorexie gilt in der Fachwelt noch nicht als offiziell anerkannte Essstörung. Der Ausdruck findet sich nicht in den gängigen Fachbüchern und wird von vielen Experten nicht als eigenständige Krankheit angesehen. Die genaue Zahl der Menschen, die sich krankhaft ungesund ernähren, ist noch nicht eindeutig erforscht.
Im internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten ICD-10 ist Orthorexie auch nicht als eigenständige Störung aufgeführt. Sie könnte jedoch unter „nicht näher bezeichnete Essstörungen“ eingeordnet werden. Auch im alternativen Klassifikationssystem DSM-5 wird sie nicht als eigenständige Krankheit aufgeführt, sondern fällt unter die Kategorie „Störungen mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme“.
Ein wichtiges Kriterium zur Abgrenzung der Orthorexie als krankhaftes Verhalten ist der Leidensdruck der Betroffenen. Solange das Verhalten keine gravierenden Einschränkungen im Alltag mit sich bringt und keine stark belastenden Befürchtungen hervorruft, kann es als Teil einer gesunden Lebensführung angesehen werden. Wenn jedoch eine deutliche Beeinträchtigung der Lebensqualität, starke Einschränkungen oder intensive Ängste vorliegen, wird das Verhalten als problematisch und krankhaft eingestuft. Eine genaue Diagnose und Differenzierung kann nur durch eine psychologische Diagnostik erfolgen, welche die Grundlage für die Erstellung eines geeigneten Behandlungsplans liefert.
Die Diagnose von Orthorexie ist besonders schwierig, da sie nicht als offizielle Essstörung anerkannt ist. Mediziner und Therapeuten wenden eine Vielzahl von Methoden an, um die Störung zu erkennen. Am Anfang steht eine ausführliche Anamnese, in der geklärt wird, ob die Ernährungsgewohnheiten der Betroffenen auf einem echten gesundheitlichen Interesse beruhen oder durch Zwang, Ängste und das Bedürfnis nach Reinheit bzw. Vermeidung von Verunreinigungen motiviert sind.
Daran schliesst sich eine Verhaltensanalyse an, die das Ausmass der Beschäftigung mit dem Thema Ernährung untersucht. Kritische Indikatoren sind z.B. eine übermässige Planung der Mahlzeiten, die Suche nach Lebensmitteln oder die Zubereitung von Speisen nach ganz bestimmten Vorgaben. Auch das Meiden ganzer Lebensmittelgruppen und die Auswirkungen auf den Alltag werden analysiert. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die emotionale Bewertung. Hier wird untersucht, wie stark das Selbstwertgefühl der Betroffenen von der Einhaltung der Diät abhängt und ob Schuldgefühle oder Ängste bei Abweichungen auftreten. Ausserdem wird untersucht, ob die Diät als Bewältigungsmechanismus für andere emotionale Probleme dient.
Die sozialen und funktionalen Auswirkungen der Diät werden ebenfalls bewertet, insbesondere ob es zu sozialer Isolation, Konflikten mit anderen oder einer Beeinträchtigung der beruflichen und schulischen Leistungen kommt. Körperliche Gesundheitsprobleme wie Anzeichen von Mangelernährung oder andere körperliche Einschränkungen werden ebenfalls untersucht, z. B. durch Bluttests oder Knochendichtemessungen. In einigen Fällen wird auch die Zusammenarbeit mit Ernährungsberatern oder Diätassistenten gesucht, um zwischen einer gesunden und einer potenziell schädlichen Ernährungsweise zu unterscheiden.
Orthorexie ist eine übertriebene Besessenheit mit gesundem Essen, die zu gesundheitlichen und sozialen Problemen führen kann. Eine ausgewogene Ernährung ist daher von grosser Bedeutung.